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Martin-Luther-Bund
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Aktuelle Meldung



18.05.2012 - Kategorie: ELKRAS, LD online

LD online: Predigt der Räume




Ostern in St. Petersburg

 

von Matthias Zierold

 

Auszug aus dem Lutherischen Dienst 2/2012, Sondernummer »Europäisches Russland«



Lutherischer Dienst 2/2012

Von der Kapelle im Schwimmbecken unter dem Kirchenboden …

  in den eigentlichen Kirchenraum, um das Osterlicht zu empfangen. – Fotos: Zierold

 

Im Herzen von St. Petersburg steht die Petrikirche. Bekannt wurde sie, weil zu Sowjetzeiten hier ein Schwimmbecken eingebaut worden ist. Nach der Perestroika ist sie wieder auferstanden. Die Evangelisch-Lutherische St. Annen- und St. Petrigemeinde füllt sie heute mit Gottesdienst und Gemeindeleben.

Besonders in der Karwoche und Ostern wird diese Geschichte immer wieder neu präsent. Das Schwimmbecken wurde nicht entfernt. Durch den Einbau einer Zwischendecke entstand der neue Kirchenraum über dem ehemaligen Becken. Der Bereich des ehemaligen Schwimmbeckens enthält heute eine Gedenkstätte an die Deportation der Russlanddeutschen mit ­einer Kapelle. Gerade in der Osternacht predigt diese Konstellation der Räume – ohne viele Worte. Deshalb wird die Osternacht in der Kapelle am Schwimmbecken begonnen, noch mit dem Bezug zum Karfreitag. Dann verlässt die Gemeinde diesen doch etwas staubigen Raum mit viel Beton, Stahl und alten Schwimmbadkacheln und geht in den neuen Kirchensaal, um das ­Osterlicht zu empfangen, auszubreiten und um die Osterbotschaft zu hören. Am Ende der Feier treten dann alle vor die Kirche, rufen die Osterbotschaft hinaus in die Stadt und ziehen singend um die Kirche. Zum Sonntagmorgen versammelt sich die Gemeinde zum Festgottesdienst mit anschließendem Osterfrühstück. Wenn ich nach meiner Dienstzeit an der Petrikirche einmal in Deutschland zurückblicken werde, werden wohl zuallererst die Bilder von diesen ­Feiern in meinem Kopf sein. Diese Gottesdienste von Palmarum bis Ostern – mit viel Liebe zur Liturgie und zu Traditionen gefeiert – sind für eine Reihe von Gemeindegliedern die wichtigsten im Jahr. Sie werden von ihnen mit gestaltet, ganz unabhängig davon, ob der jeweilige Pastor ein Faible für liturgische Gestaltung hat oder nicht.

Ostern in Russland, das ist ansonsten ein ganz normales Wochenende – ohne arbeitsfreie Feiertage oder Ferien. Auch hat der Handel das noch kaum für sich entdeckt. Ohne Osterhasen und Kommerz wird Ostern allein durch den Gang zur ­Kirche zum Fest.

Unsere Gemeinde feiert gemeinsam mit den Katholiken und anderen Lutheranern nach gregorianischem Kalender, während bei unseren orthodoxen Nachbarn Ostern nach julianischem Kalender meist auf den darauffolgenden Sonntag fällt. Das ist für uns als Minderheit nicht immer ganz einfach. Eines der Kinder unserer Gemeinde wurde z. B. in der Osternacht getauft und kam in der Woche darauf heulend aus der Schule nach Hause. Es hatte voller Stolz von seiner Taufe erzählt, worauf man ihm entgegnete: Dich hat man in der Kirche betrogen, Ostern war noch gar nicht!

Die Deutsche Evangelisch-Lutherische St. Annen- und St. Petrigemeinde besteht heute aus Menschen mit deutschen Wurzeln, deren Muttersprache Russisch ist, aus Bundesdeutschen, die nach Russland geheiratet haben oder hier zeitlich befristet arbeiten, sowie aus einer wachsenden Zahl von Russen und anderen Nationalitäten. Eine besondere Rolle spielt dabei der Konfirmandenunterricht. Die Tradition einer Konfirmation mit 14 Jahren ist verloren gegangen. Die Konfirmanden sind Erwachsene ganz verschiedener Herkunft, die auf der Suche nach Antwort auf Glaubensfragen sind. In der Millionenstadt St. Petersburg leben ganz verschiedene Konfessionen und Religionen auf engem Raum zusammen. Es gibt dabei eine nicht unbeachtliche Zahl von Menschen, die sich da einfach »durchprobieren«, von einer Kirche zur anderen wechseln und auf der Suche nach dem richtigen Weg für sich sind. Unser Konfirmandenunterricht ist deshalb ein Glaubenskurs für Erwachsene, der sich ­einer solchen »Konkurrenz«-Situation stellt. In der russischen Gesellschaft gibt es zwar die Vorstellung, dass sich das eigene Glaubensbekenntnis aus der Volkszugehörigkeit ergibt, aber in so einer modernen Metropole wird das durchbrochen.

Während wir für die Gemeindeglieder mit deutschen Wurzeln, die mittlerweile vollkommen in der russischen Gesellschaft assimiliert sind, einer der letzten Orte sind, an dem diese Wurzeln gewürdigt werden, so kommen andere gerade deshalb zu uns, weil wir für sie eine interessante Alternative zu den zahlenmäßig starken Konfessionen bieten. Vor diesem Hintergrund befinden wir uns gerade in einer Phase, in der sich die Zusammensetzung unserer Gemeinde ändert. Das stellt uns vor die Herausforderung, ein gutes Zeugnis lutherischer Theologie und Frömmigkeit in dieser Stadt zu geben. Andererseits passiert es aber ebenso, dass manche Denkweisen und Traditionen, die nicht zu unserer Identität gehören, auf uns abfärben. Deshalb sind wir als ­Gemeinde in der Diaspora in besonderer Weise auf Kontakte und Austausch zu Partnern angewiesen, die uns helfen, unsere lutherische Identität zu bewahren.

Zur Konfirmandengruppe haben sich in diesem Jahr über 20 Menschen angemeldet, ca. zwei Drittel davon werden sich wohl zu Pfingsten konfirmieren lassen. In dieser Osternacht haben wir vier Personen aus dieser Gruppe getauft. Der Wechsel der Räume in der Petrikirche prägte dabei den Gottesdienstablauf, versinnbildlichte die Auferstehung und wurde so zur Predigt. Für die neuen Mitglieder unserer Gemeinde ein Ereignis mit bleibendem Eindruck.

 

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 2/2012, Sondernummer »Europäisches Russland«. Wenn Sie die weiteren Artikel mit weiteren Informationen über Land und Leute und die Evangelisch-Lutherische Kirche »Europäisches Russland« lesen möchten, bestellen Sie den » Lutherischen Dienst kostenlos.